Der ökologische Landbau sei nicht zu unterschätzen, sagt Prof. Dr. Jürgen Hess, Universität Kassel, und widerspricht in einem Leserbrief den Aussagen eines Interviews auf agrarheute vor wenigen Tagen.
Am vergangenen Montag (26. Juli) hatten wir ein Interview mit dem Agrarökonom Prof. Dr. Herbert Ströbel, ehemaliger Dekan des Fachbereichs Landwirtschaft II der Hochschule Weihenstephan / Triesdorf (siehe Link unten). In einem Interview erklärte er, dass die Konzentration auf den rein biologischen Landbau aus seiner Sicht wenig produktiv und ideologisch stark belastet sei. Gleichzeitig kritisierte er die universitäre Forschung, die stärker auf politische Forderungen und leichtere Finanzierung ausgerichtet sei als umsetzbare Konzepte.
Wir erhielten ein Schreiben von Prof. Dr. Jürgen Hess, ehemaliger Leiter des Lehrstuhls für Ökologischen Landbau und Pflanzenbau an der Universität Kassel-Witzenhausen. Wir veröffentlichen diesen Brief hier vollständig und freuen uns auf die weitere Diskussion zu diesem kontroversen Thema.
Leserbrief vom 28 von Prof. Dr. Jürgen Hess
Die Förderung von ökologischen Landbau müssen mit ihren Leistungen für Umwelt und Gesellschaft verknüpft werden, fordert Prof. Ströbel in einem von agrarheute veröffentlichten Interview vom 26. Juli 2021. Soweit so gut, leider fehlt der Argumentation im weiteren Verlauf und teilweise die Tiefenschärfe auch die sachliche Grundlage.
Ströbel hinterfragt die Leistung von ökologischen Landbau und spricht unter anderem von einer erhöhten Nitratauswaschung. Eine aktuelle vom Bundeslandwirtschaftsministerium finanzierte Metastudie, die die wissenschaftliche Literatur der letzten 30 Jahre ausgewertet hat, zeigt das Gegenteil. Der ökologische Landbau leistet deutlich mehr in Bezug auf Grundwasserschutz, Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit und Klimaanpassung als konventioneller Landbau. Bezogen auf die Fläche gilt dies auch für den Klimaschutz, wobei sich die Unterschiede beim Einkommen ausgleichen.
Dass der ökologische Landbau im Vergleich zum konventionellen Landbau nur 50 Prozent der Erträge liefert, ist schlichtweg falsch. Alle diesbezüglichen Vergleiche hinken aufgrund schlechter Datenbasis und fehlender Vergleichbarkeit hinterher, und sie hinken umso hinterher, wenn man die Einkommenssituation der deutschen Intensivlandwirtschaft auf die Welt überträgt.
Bioprodukte sind nicht gesünder. Betrachtet man die Belastung mit Pestiziden, so spielt deren Toxizität im Vergleich zu den in Pflanzen ohnehin vorkommenden natürlichen Giftstoffen kaum eine Rolle. Bio-Produkte sind teilweise stärker mit Schwermetallen und Schimmelpilzen belastet.
Ich bestreite nicht, dass der ökologische Landbau in einigen Bereichen positive Beiträge zur Landwirtschaft leisten kann. Eine vernünftige konventionelle Landwirtschaft, wie sie von der überwiegenden Mehrheit unserer Landwirte praktiziert wird, ist jedoch objektiv wie moralisch vorzuziehen.
Es ist auch nicht zielführend, alle Leistungen auf das Ergebnis zu beziehen. Der geeignete Referenzwert muss im Einzelfall entschieden werden. Ein Beispiel: Für die Wasserwirtschaft ist es fast unerheblich, ob im Wassereinzugsgebiet 50 oder 90 dt Weizen pro Hektar geerntet werden. Entscheidend ist vielmehr, dass die Wasserwirtschaft wenig Nitrat und keine Pestizide im geförderten Rohwasser wünscht. Nicht umsonst fördern die Stadtwerke München und Leipzig in ihrem Wasserschutzgebiet den ökologischen Landbau.
Derzeit wird der ökologische Landbau pro Hektar etwa doppelt so hoch gefördert wie der konventionelle. Über die Motive kann ich nur spekulieren. Weil Bio beim Publikum so beliebt ist, zieht es auch Akteure mit politischen oder wirtschaftlichen Überlegungen an, sodass Bio mittlerweile auch von irrelevanten Motiven profitiert.
Ich plädiere dafür, Kurse im ökologischen Landbau anzubieten, weil zu viele Optionen aufgrund der ideologischen Ausrichtung ignoriert werden. Die Universität ist der Wissenschaft verpflichtet und sollte nicht als Multiplikator von Ideologien auftreten. Manchmal kann ich verstehen, dass Universitäten den Bedarf an solchen Studieninhalten befriedigen und dem Zeitgeist folgen, aber ich bedaure, dass die wissenschaftliche Sorgfalt oft auf der Strecke bleibt.